gerdson hat geschrieben:Über diese Kleinstaaterei reiben sich die Russen und Amerikaner die Hände. Teile und herrsche...
Leider tut unsere Euro-Bürokratie ja auch seit Jahrzehnten das ihre (in unheiliger Allianz mit ignoranten Regierungschefs in ganz Europa): Ein sich selbst versorgendes Monster zu schaffen, intransparent, unkontrollierbar, dadurch in sich auch undemokratisch.
Kleinstaaterei ist ja eine Negativformulierung. Ich gehe auch davon aus, daß - sollte es einen sich fortsetzenden Trend zum Austritt geben - eine immer kleiner werdende EU sich nicht einigelt und auf bockiges Kind machen wird. Man würde, so hoffe ich, nach neuen Wegen der Zusammenarbeit unter einem anders gestalteten Dach suchen.
Das derzeitig intransparente, unkontrollierbare, undemokratische sich selbst versorgende Monster namens EU war nur möglich, weil, angetrieben von den großen Staaten, peu à peu eine Vereinheitlichung unter Mißachtung regionaler Gegebenheiten und Unterschiede vorangetrieben wurde.
Die Positivformulierung für "Kleinstaaterei" wäre die "Idee eines Europas der Regionen". Die Regionen in diesem Europa hätten in etwa eine Größe und Leistungsfähigkeit, wie sie die Gebiete haben, die in der
NUTS-Kategorisierung auf der Ebene NUTS1 und NUTS2 haben. Dieses Europa wird als föderal, subsidiär und deutlich demokratischer angenommen als es die heutige EU sein kann. Es setzte auf Selbstbestimmung der Regionen, ohne daß diese sich in einen heute leicht möglichen chauvinistischen Wahn schaukeln können (man denke an die seltsamen Blüten, die die Griechenlandkrise trieb)
Die EU-Jacke, die derzeit so keinem Bürger so richtig zu gefallen scheint, wurde im wesentlichen von den Europäischen "Großnationen" geschneidert, allesamt auf der Ebene NUTS-0 angesiedelt. Diese Protagonisten brachten die EU in die Krise, in der sie sich derzeit befindet; sie werden die EU aus dieser Krise nicht herausholen können - lediglich Verschlimmbesserungen sind vorstellbar.
Zur NUTS-Kategorisierung:
NUTS-0, hier befinden sich in Europa folgende 15 Nationlstaaten:
Belgien, Bulgarien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Niederlande, Österreich, Polen, Rumänien, Schweden, Spanien, Ungarn, das Vereinigte Königreich und die Türkei
Auf der Ebene NUTS-1 liegen 93 historisch oder kulturell gewachsene Regionen (zum Beispiel die deutschen Bundesländer, oder Schottland und Wales) aber auch künstlich zugeschnittene Verwaltungseinheiten. Allerdings liegen auf dieser Ebene und darunter (NUTS-2 und -3) auch noch zusätzlich zu den 93 Regionen 21 (National)Staaten:
NUTS-1
Dänemark, Finnland, Irland, Kroatien, Portugal, Slowenien, Slowakei Tschechien, Norwegen, Schweiz
NUTS-2
Estland, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Albanien, Mazedonien, Serbien, Island
NUTS-3 Zypern, Montenegro, Lichtenstein
Gerade NUTS-0 Staaten ist gemein, daß die politische Entscheidungsfindung weit abseits vom mutmaßlichen Bürgerwillen geschehen kann. Dies führt zunächst zu einer Entfremdung vom eigenen Staatswesen und infolge zur Abwehr, der durch diesen Staat zu verantwortenden EU. Als Gegenbewegung beobachten wir nun ein Erstarken national(istisch)en Denkens, wenn überhaupt, ein Placebo.
Möchten wir dies verhindern, sollten wir vielleicht über ein anders aufgestelltes Europa nachdenken. Das schon erwähnte Europa der Regionen; subsidiär, föderal, bürgernah. Administrationen auf NUTS-0-Ebene hätten ihre Bedeutung und Kompetenzen zu verlieren, welche sich dann auf die Ebene NUTS-1 oder nach Brüssel verlagern.(NUTS-1 sind bei uns die Bundesländer, ebenfalls NUTS-1 oder sogar NUTS-2 sind 11 der 28 EU-Staaten).
Ich bin der festen Überzeugung, daß man nicht zwischen Nationalismus oder Internationalismus entscheiden muß, sondern sich mit dem Regionalismus ein charmanter, identitätsstiftender Weg beschreiten läßt, der nicht ausgrnzt, der regionale Eigenheiten achtet, der von der Vielfalt lebt und darüber hinaus das Gebilde, in dem das alles möglich sein kann hochleben läßt. Ein Gebilde namens Europa der Regionen. Ich denke, daß es den meisten Europäern in ihre Abwehrhaltung gegenüber der derzeitigen EU eigentlich genau darum geht und nicht um eine Selbsterhöhung.
Interessantes am Rande: Immer wieder gern zitiert wird das unverkrampfte Verhältnis der Dänen zu ihrer Flagge im Vergleich zu dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer Flagge. Diesen Vergleich kann man anstellen, aber er hinkt; denn wir lassen bei diesem Vergleich etwas Wesentliches außer Acht: Die mögliche Bedeutung der zuvor skizzierten NUTS-Ebenen.
Alle Staaten auf der Ebene 0 lassen sich problemlos in kleinere Einheiten mit fester eigener Identität aufspalten. Bayern, Brandenburg, Sachsen, Tirol Schottland, Wales, Bretagne, Normandie, Katalonien, Andalusien Venetien, Lombardei etc. pp. Sämtliche dieser weiterführenden Unterteilungen befinden sich im NUTS-System dann auf Ebene-1 und darunter
Ich behaupte, daß es (fremden) Menschen allgemein weniger Unbehagen bereitet durch einen Ort mit der Beflaggung gemäß Ebene NUTS-1 zu laufen (egal ob Staat oder Teil eines Staates) als durch einen Ort mit Flaggen der Ebene NUTS-0.
Sorry, war jetzt sehr lang, aber ich sehe sowohl im heute eventuell möglich gemachten Brexit als auch in weitern EU-Austritts-Tendenzen weniger eine Katastrophe als vielmehr eine Chance für Europa. Diese Chance käme natürlich nicht automatisch sondern muß vom Souverän eingefordert werden....
Hoffe, mit diesem Eintrag niemanden genervt zu haben....
P.S. Small is beautiful