Politischer Umbruch in Dänemark

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frosch
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Politischer Umbruch in Dänemark

Beitrag von frosch »

Wenn man diesen Text liest, reibt man sich die Augen:

http://www.nordschleswiger.dk/SEEEMS/19979.asp?artid=55225

Da sind politische Umbrüche in DK im Gange, da brauchts in Deutschland offenbar Jahrzehnte für.
Und das wundert mich ein wenig. Sind derart wechselhafte Parteienwerte eher "normal" in DK oder ist das eine momentane Besonderheit?
hanno
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Beitrag von hanno »

Wer hätte erwartet, dass die große, ruhmreiche Sozialdemokratie so tief abstürzt?
Wer hätte erwartet, dass – jedenfalls nach den jüngsten Meinungsumfragen – die linke Einheitsliste und die rechte Dansk Folkeparti mit den Sozialdemokraten gleichauf liegen.
Das die Sozialdemokratie abstürzt kann auch in Deutschland geschehen.

Die Linken haben außer in den " gebrauchten" Bundesländer kaum eine Resonanz bei der Bevölkerung zu erwarten.

Nur eine rechte Volkspartei wird es in Deutschland auch in 10 Jahren nicht geben, deshalb kann man die dänische Parteienlandschaft nicht mit Deutschland vergleichen.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Ich weis gar nicht, ob die Änderungen so unerklärlich sind.

Enhedslisten ist im Moment unnormal gross. Das sind aber reine Proteststimmen von S und SF. Das wird sich gleich nach den Wahlen (und der Regierungswechsel) normalisieren. Kann sogar teilweise bei den Wahlen stattfinden. Wer mit der Regierung unzufrieden ist, wird bei einer Meinungsumfrage vielleicht sagen, dass er EL wählen würde. Das dann auch wirklich zu tun ist etwas anderes.

SF ist unter der Gewicht der Regierungsverantwortung zusammengebrochen. Villy Søvndal wollte ungebingt Außenminister werden und hat dafür sene Partei geopfert. Die Partei sollte schnellstens die Regierung verlassen. Dann würden sie auch schon einiges vom EL zurückholen.

Die SPD hat ihre Wurzeln vergessen. Sie hat sich von eine Arbeiter- und Rentnerpartei in eine Partei für relativ gut verdienende, weibliche öffentliche Angestellte verwandelt. Die alten Kernwähler (Arbeiter und Rentner) sind nach DF abgewandert. DF und SPD stehen sich im Grunde genommen - vom Retorik abgesehen - relativ nahe. So z.B. in der Sozialpolitik. Die neuen Kernwähler (z.B. Lehrer) machen jetzt Urlaub bei EL. Sie werden aber vermutlich auch nach den Wahlen zurück kommen.

Die Konservativen sind einfach vom sehr langen Paarlauf mit Venstre aufgebraucht. Die beiden Parteien sind sehr ähnlich. Wer gerade Juniorpartner ist, hat es daher schwer, sie kann leicht vergessen werden. In den 80'ern war V der Juniorpartner, hat aber sehr geschickt "interner Opposition" in der Regierung betrieben. In den 00'ern war es dann umgekehrt. K hat das aber nicht so geschafft. Ob sie wieder hochkommen oder von Venstre ganz geschluckt wird ???
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runesfar

Beitrag von runesfar »

Und Lars vergisst - wenn entweder die DF oder EL (oder beide) sich als Professionsparteien, also Sprachrohre für die Opfer der New Public Management, die Ingeniöre, Lehrer, ârtzte, Polizisten (okay die gehen eher nach DF), Pflegeassistenten - alle die Berufe die jetzt von die Regierungswut der juristen betroffen sind....dann ist die Hölle wohl los.

Wenn sie das mit eine Art "Aufstand der Banane" kombinieren können - dann kannst du eigentlich die Drehbuch über Bord werfen.

War übriges selber in Nordjutland am 1. maj. Die Veracht der ganz normale Nordjyder gegenüber Helle T war massiv - ist es immer noch. Kenne Sozialdemokraten da oben die nicht wieder an der Partei stimmen.
Zuletzt geändert von runesfar am 13.05.2013, 14:53, insgesamt 1-mal geändert.
Kairos
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Beitrag von Kairos »

In Dänemark verändert sich das Wahlverhalten und in Deutschland die Parteien. So sind die die Grünen bspw. mittlerweile spiessiger als die CDU jemals gewesen ist.
Sandsturm(geloescht)

Beitrag von Sandsturm(geloescht) »

Kairos hat geschrieben:In Dänemark verändert sich das Wahlverhalten und in Deutschland die Parteien. So sind die die Grünen bspw. mittlerweile spiessiger als die CDU jemals gewesen ist.
Und es geht noch weiter.
Bei dem Wahlprogramm der Piraten (vom Wochenende) ist noch unwahrscheinlicher, daß dort etwas passiert.
Da sind ja Punkte zusammen gekommen....

Es wird ein Interssantes Jahr
hanno
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Beitrag von hanno »

Auch bei uns ist es so, das die SPD ihre Wurzel vergessen hat, das Bild was sie in der Öffentlichkeit bietet, ist nicht gerade das was sich Bürger von einer Regierungspartei versprechen.
Wenn die Medien bis zur Wahl still halten, wird " Mutti " auch wieder Kanzlerin werden, der deutsche Michel lässt grüßen.
Es wird davon abhängen wie viel Menschen, auch weiterhin auf die FDP reinfallen und ob die Alternative für Deutschland zum Zünglein an der Waage werden kann.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

runesfar hat geschrieben:War übriges selber in Nordjutland am 1. maj. Die Veracht der ganz normale Nordjyder gegenüber Helle T war massiv - ist es immer noch. Kenne Sozialdemokraten da oben die nicht wieder an der Partei stimmen.
Das gilt nicht nur dort. Bei den Kommunalwahlen in November kann die SPD vielleicht die Bürgermeisterämter in Aalborg, Århus und Fredericia gewinnen. Davon abgesehen vermute ich aber, dass sie kein einziger Bürgermeister in Jütland stellen werden.
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frosch
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Beitrag von frosch »

Interessante Antworten, dankeschön.

Was Lars und Runesfar so schreiben, kann ich weitgehend nachvollziehen.
Warum nur haben Sozialdemokraten und SF ihre Wahlziele und -Versprechen so schnell über Bord geworfen ?

Warum arbeiten sie so heftig daran, DK eine Wirtschaftsdiktatur überzustülpen, wo erst den Lehrern, dann den Ärzten und dann der nächsten Berufsgruppe Arbeits- und Lohnbedingungen diktiert werden.
Da fällt einem ja schon der böse Begriff von der "Arbeitsfront" unseligen Gedenkens ein.

@Hanno:
Daß die SPD in D abstürzt, kann ich mir vorstellen, vor allem mit dem Bankenrefenten und Fettnäpfchentreter Steinbrück als Kanzlerkandidaten.
Nur einen solchen Absturz wie in DK ? Nee, das glaub ich nicht.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

frosch hat geschrieben:Warum nur haben Sozialdemokraten und SF ihre Wahlziele und -Versprechen so schnell über Bord geworfen ?
Weil sie keine Mehrheit haben und weil sie unbedingt regieren wollten.

S-SF haben die Mehrheit verfehlt (eigene bzw. mit EL). Sie wollten aber unbedingt regieren. Sie hatten 10 Jahre lang sehnsüchtig darauf gewartet. Möglich war es aber nur, wenn RV mit ins Boot kämen. Also haben S-SF-RV sich zusammen gesetzt (in ein Hotel bzw. sehr symbolisch in ein schwarzer Turm). Dort wurde die Regierungsgrundlage verhandelt. Es geschah alles hinter verschlossenen Türen.

Das war alles sehr geheim. Wir können aber sehr gut nachvollziehen, was dabei passiert sein muss. Vor den Wahlen hatten S-SF ihr eigenes Wahlprogramm "Fair Løsning" gemacht. Dabei hatten sie laut proklamiert, dies sei das künftige Regierungsprogramm. Sie würden zwar RV in die Regierung mitnehmen, aber RV wäre der absolute Juniorpartner und müsste daher das vorliegende Program einfach so hinnehmen.

Das war vielleicht sogar notwendig. SF hat sich sehr weit bewegt, um das gemeinsame Programm mit S zu schaffen. Sie mussten wahrscheinlich ihre Wähler signalisieren, dass sie zwar weit gegangen waren, aber damit wäre der Ende auch erreicht. Weitere Zugeständnisse kämen nicht in Frage.

Margrethe Vestager von RV war aber wegen diese Haltung der beiden anderen ernsthaft tøsesur. Im Wahlnacht geschah dann das Wunder, S und SF verloren Stimmen, während RV Stimmen dazu gewann und im Endeffekt hatte RV 17 Sitze und SF nur 16.

Als Margrethe Vestager zu den Regierungsverhandlungen ankamen war sie also nicht mehr der Juniorpartner, wofür die beiden anderen sie gehalten hatten. Sie war ernsthaft sauer über die Haltung der beiden anderen und meinte sie hätte eine Rechnung, was beglichen werden musste. Sie hatte auch mehr Erfahrung. Sie war nämlich der einzige der drei Parteivorsitzende, die schon einmal Ministerin gewesen war. Und vor allem hatte sie als einzige eine Alternative. Sie konnte jeder Zeit den Verhandlungstisch verlassen und zu Lars Løkke rübergehen (das kann sie immer noch).

Diese Verhandlungsposition hat sie absolut rücksichtslos benutzt um den beiden anderen vorzuführen. Als die Verhandlungen vorbei waren, war das gemeinsame Programm von S-SF nur noch Makulatur. Stattdessen wird jetzt das von Margrethe Vestager diktierte Regierungsprogram jetzt Punkt für Punkt durchgesetzt. S und SF machen mit, weil falls sie sich weigern, gibt es Neuwahlen und danach folgen wieder 10 Jahre mit Venstre an der Spitze der Regierung - vielleicht in Koalition mit RV.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Man kann das auch so erklären:

Hier erscheint normalerweise ein Video von YouTube. Bitte wende dich an einen Administrator.
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runesfar

Beitrag von runesfar »

Das grotesque ist dann, das die Radikale, durch ihre Sturheit, wahrscheinlich dafür gesorgt haben, das DF die nächste viele, viele Jahren in die Regierung sitzen...während es eine andere Mehrheit nicht mehr in meine Lebzeiten gibt.
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Für RV ist es keine Sturheit bzw. sie bleiben stur auf das, was sie für richtig halten. Manche Umfragen ergeben aber auch eine Mehrheit für VIRK. In dem Fall gibt es die Möglichkeit eine V-RV oder VKR Regierung, die dann auch DF oder S als Mehrheitsoption hätte.
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Moms
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Beitrag von Moms »

Wie schätzt Ihr denn die Möglichkeiten neuer Mitte-Links-Parteien wie die "Forenede Demokrater" und "Social Balance" ein? Werden diese neuen Gruppierungen realistische Chancen haben frustrierte Wähler von S und SF für sich zu gewinnen? Könnten eventuell auch die Kristdemokraterne profitieren (die Centrum-Demokraterne gibt es ja nicht mehr) ?

Was wäre eine strategische Option für die nächsten Jahre für die politische Linke? Denn zur Zeit ist sie ja geschwächt (S und SF zusammen geschrumpft, in sich uneinig und so weiter). Und gibt es nicht auch bei den Radikalen kritische Stimmen zum derzeitigen Kurs (auch in Hinblick auf DF)?

Hier ein interessanter Link von P1 Morgen über die neuen Parteigründungen:http://www.dr.dk/P1/P1Morgen/Udsendelser/2013/05/04/111914.htm

viele Grüße
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Lars J. Helbo
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Beitrag von Lars J. Helbo »

Ich halte von diesen neuen Parteien nichts. Die müssten ja zu den Wahlen in 2 Jahren antreten. Dazu bräuchten sie 20.000 beglaubigte Unterschriften und das ist extrem schwierig. Die Kristendemokraten haben das jetzt ein paar Mal geschaft, aber nur weil sie im Westen von Jütland eine starke örtliche Organisation haben. Es ist ganz schwierig so etwas neu aufzubauen. Ich hatte gedacht Fælleslisten würde es vor 2-3 jahren schaffen. Sie sind aber kläglich gescheitert.

RV steht voll und ganz hinter der Reform-Politik.

Realistische Option? Ich weis nicht. Das strategische Problem ist ja, dass viele SPD-Kernwähler, für denen eine starke Sozial-Politik viel bedeutet, an DF gegangen sind. Logisk wäre also eine Allianz zwischen SPD und DF, aber ob das realistisch ist?
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