Kollektive Depression in Deutschland?

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Berndt

Kollektive Depression in Deutschland?

Beitrag von Berndt »

(Dänischer Thread: www.dk-forum.de/forum/link.asp?topic_id=1947)

Ich habe im dänischen Thread: Die kollektive Depression in D. in Verbindung mit der Arbeitslosigkeit erklärt, daß ich den Vorschlag, die wöchentliche Arbeitszeit von z.B. 35 Stunden auf 40 St. zu erhöhen, merkwürdig finde. Wie kann man dadurch die Probleme lösen? 40 Personen in 35 Stunden pro Woche bedeutet doch weniger Arbeitslosigkeit als 35 Personen in 40 Stunden? - Ausgerechnet heute abend hörte man dann im Tagesschau:
”Bahn will längere Arbeitszeiten.
Die Bahn bietet ihren Beschäftigten an, auf betriebsbedingte Kündigungen zu verzichten, fordert dafür aber massive Zugeständnisse: Die Regelarbeitszeit soll bei gleichem Geld von derzeit 38,5 auf 40 Stunden pro Woche erhöht werden. Zulagen sollen gekappt oder stärker nach Leistung gezahlt werden. Weiterhin will die Bahn eine geringere Arbeitszeit-Anrechnung unproduktiver Zeiten - zum Beispiel Rückfahrten von Lokführern nach dem Einsatz, die zurzeit voll bezahlt werden.
Nur unter dieser Grundvoraussetzung habe das Unternehmen Aussicht, im Wettbewerb zu bestehen, sagte der Personalvorstand des Unternehmens”. Es handelt sich um die Konkurrenz wegen der Privatisierung, genau wie in DK.

Ein anderer interessanter Beitrag war die sehr deutliche Erklärung , weshalb es immer schwieriger wird, die Zahlungen an die künftigen Rentner zu finanzieren. Ich habe auf der Homepage von ARD den ganzen Text gefunden:
”Die heutigen Renten werden von den Beiträgen der jetzigen Arbeitnehmer finanziert. Das hat zur Folge, dass der einzelne Arbeitnehmer mit seinen Beiträgen keine eigene Rücklage bildet, die er später ausbezahlt bekommt. Er erwirbt lediglich einen Anspruch darauf, später einmal selbst eine Rente zu beziehen, die dann von den Rentenbeiträgen der zukünftigen Arbeitnehmer finanziert wird. Die Einnahmen (die Rentenbeiträge der Arbeitnehmer) und Ausgaben (die Zahlungen an die Rentner) der Rentenversicherung müssen sich also die Waage halten. Die Einnahmen der Rentenversicherung gehen allerdings immer weiter zurück, während die Ausgaben steigen”.
Eine sehr gute Beschreibung der Probleme, die auch ich verstehen kann. (Gilt ja leider auch in DK).
Wirklich ein Grund zur Depression.
Grüße - Berndt


Bearbeitet von (Redigeret af) - Berndt am (den) 21.05.2004 22:00:22
Zuletzt geändert von Berndt am 19.05.2004, 00:05, insgesamt 1-mal geändert.
andi

Beitrag von andi »

Hej Berndt
Davon kann man wirklich Depressiv werden, in allen Firmen wo Freunde, Bekannte usw arbeiten wird dies versucht oder schon umgesetzt.
Z.B. ein Freund von uns arbeitet bei Bus und Bahn, dort sollen alle auf ihr Urlaubsgeld ganz verzichten, das Weihnachtsgeld wird halbiert und alle dürfen wieder (ohne Lohnausgleich) 40 Stunden arbeiten.
In meiner Firma durften alle zu Weihnachten der Firma spenden, nämlich 50 Stunden Gleitzeit. Die wie ich im Plus waren hatten "Glück" ,alle anderen dürfen das wieder nacharbeiten.
Wenn es einer Firma schlecht geht, habe ich da natürlich Verständnis für, aber wenn es darum geht das zu tun was alle tun, dann stehen uns noch trübe zeiten ins Haus.
Wg Rente, man darf natürlich auch nicht vergessen wer alles aus dieser Kasse Geld bekommt. Man denke nur an die Ostrentner und die Spätaussiedler, die alle Rente beziehen aber nie eingezahlt haben.
Gut das wir wenigstens ein eigenes Haus haben, aber vielleicht wird auch dafür noch eine neue Steuer erfunden.

Hilsen Andi
Zuletzt geändert von andi am 19.05.2004, 19:32, insgesamt 1-mal geändert.
Lutzinger

Beitrag von Lutzinger »

Dazu kommt, daß ich bis 67 Jahre arbeiten soll, damit mir die Rente später ausgezahlt werden kann, also erst mit 67 und nicht mit 65 . Dafür wird jungen Leuten Arbeitsgeld bezahlt, weil ich ja diese Stelle besetze. Das verstehe wer will. Eigentlich will ich auch mit 50 nicht mehr arbeiten. Und bei der Gewinngeilheit deutscher Aktienunternehmen und ihrer Aktionäre wird das wohl auch klappen.
Sozialstaat? Von wegen. Bei uns geht es darum, daß immer mehr Geld gemacht wird. Es geht nicht darum, daß die Menschen zufrieden sind. Ein Unternehmen soll ja Gewinne machen. Aber davon muß auch was an die Angestellten fließen und nicht in den Kauf von anderen Unternehmen und die darauf folgende Entlassung tausender Menschen.

Ich weiß, daß paßt eigentlich nicht in dieses Forum, aber ich mußte das mal los werden. Leider halten sich in diesem Forum keine Manager auf, die dieses mal lesen würden.

MfG
Lutzinger
(der seit Mitte 2002 auch nicht weiß, wie es mit seinem Job weitergehen soll)
Zuletzt geändert von Lutzinger am 20.05.2004, 11:52, insgesamt 1-mal geändert.
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

Ich habe schon seit längerem den Eindruck, es gelingt den Entscheidern in D heute kaum, der breiten Bevölkerung die Logik der Wirtschaftspolitik zu vermitteln, trotz aller Talkshows zum Thema. Allerdings drängt sich manchmal auch der Eindruck auf, die Entscheider hätten nicht zu Ende gedacht oder aber kommunizieren ihre wahren Prioritäten nicht.

Ein Beispiel ist die aktuellen Welle von Verlängerungen der Arbeitszeit. Jahrzehntelang hatten die Gewerkschaften mit dem Wohlwollen von Politikern der Bevölkerung eingeredet, man könne mit Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Monatslohn ("vollem Lohnausgleich") die Arbeit auf mehr Personen verteilen - und damit die Arbeitslosigkeit senken.

Die Erfahrung mit dieser Politik war allerdings, dass sie nicht wirkt. Denn nicht die Arbeitsmenge bestimmt die Zahl der Beschäftigten, sondern Mehrertrag der Arbeit im Verhältnis zu Mehrkosten. Also die Rentabilität der Mehrbeschäftigung. Diese verschlechterte sich jedoch genau entgegen der Zielsetzung - wegen dem "vollen Lohnausgleich". Dazu kam, dass insbesondere in Süddeutschland ein Fachpersonalmangel entstand. Die Arbeitslosen waren nicht im Stande, das Gleiche zu leisten wie die bereits Beschäftigten. Und die Bevölkerung aus den absteigenden Regionen im Osten, im Ruhrgebiet, Saarland und Bremen waren nicht hinreichend umzugswillig (- trotz allem!). Die Unternehmen versuchten daher, ihre Leute schneller laufen zu lassen - Einstellungen waren finanziell und praktisch unrealistisch.

Diese Erfahrungen sind der Bevölkerung nicht hinreichend vermittelt worden. Deshalb stellt sich die Bevölkerung gegen die Änderungen - zumal es nicht lustig ist mehr zu arbeiten. Die Eliten fühlen sich umgekehrt unverstanden - das ist ein Grund, warum sie laut Rau so schlecht über D reden.

Klüger geworden, praktizieren die Entscheider nun die umgekehrte Politik. Die Arbeitszeit steigt bei gleichem Lohn. Kein Zweifel, dass die Rentabilität von Mehrbeschäftigung steigen wird, vorausgesetzt die erzeugten Waren und Dienstleistungen finden ihre Abnehmer. Diese werden insbesondere im Ausland sein, denn im Inland dämpft leider die staatliche Finanzpolitik den inländischen Verbrauch.

Deshalb wird der Beschäftigungseffekt der Arbeitszeiterhöhung begrenzt bleiben. Denn die Mehrnachfrage aus dem Ausland kann wohl oft aus der verlängerten Arbeitszeit befriedigt werden.

Die Anregung des inländischen Verbrauchs wäre also eine sinnvolle Ergänzung der Verlängerung der Arbeitszeit. Wer in deutschen Medien mitfolgt, weiss aber, dass in D die Frage der Dämpfung oder Anregung des inländischen Verbrauchs allein an der Nettoneuverschuldung festgemacht wird. Je höher die Neuverschuldung, desto mehr Anregung. Da der Euro-Stabilitätspakt schon heute eine Senkung der Nettoneuverschuldung erfordert, folgert, dass der Staat nur noch dämpfend agieren kann.

Was Not täte, wäre eine differenzierte Konjunkturpolitik. Es dreht sich nämlich nicht nur um Neuverschuldung, sondern auch um Änderungen der Zusammensetzung. Sachausgaben, kleinere Investitionen und Leistungen für sozial Schwache wirken vergleichsweise belebend, Steuersenkungen für Besserverdiener dagegen eher dämpfend. Daher sind Einkommensteuersenkungen, insbesondere für Besserverdiener, finanziert aus Einsparungen beim Arbeitslosengeld u.ä. kontraproduktiv. Dagegen würde das Umgekehrte die Wirtschaft beleben. Ohne Neuverschuldung.

Aber mit solchen differenzierten Botschaften in der öffentlichen Meinung in D durchzudringen, darüber habe ich keine Illusionen.

Gruss Michael
Zuletzt geändert von MichaelD am 24.05.2004, 11:56, insgesamt 1-mal geändert.
Grüsse
Michael
Danebod

Beitrag von Danebod »

@Lutzinger

Du sollst keineswegs arbeiten, bis Du 67 bist.

Die Lebensarbeitszeitverlängerung hat eine ganz andere Funktion. Es ist eine weitere Rentenkürzung.

Wie bisher werden Leute über 50 es extrem schwer haben, einen Arbeitsplatz zu finden oder zu behalten. Sie können früher in die Rente gehen und ihre Ansprüche werden dann nach dem neuen Standardeintrittsalter berechnet, man verliert also Anwartschaften für die zwei Jahre von 65 bis 67. Und bekommt entsprechend weniger.
Zuletzt geändert von Danebod am 24.05.2004, 19:16, insgesamt 1-mal geändert.
MichaelD
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Beitrag von MichaelD »

@Danebod

Den Verdacht kann man allerdings haben. Denn es gehören noch ein paar Reformen mehr dazu - nicht zuletzt seitens der Tarifpartner, will man die Beschäftigung der Älteren ernsthaft erhöhen.

Noch immer verdienen Ältere um die 60 in der Regel mehr als Jüngere um die 35 in gleicher Stellung, obwohl die Jüngeren die Motivierteren und häufig die Effektiveren sind. Noch immer haben Ältere allein aufgrund ihres Alters i.a. einen wesentlich längeren Kündigungsschutz, der ja zugleich ein Einstellungshindernis ist.

Allerdings muss man auch anerkennen, dass der Staat mit den Änderungen bei der Arbeitslosenbetreuung auch einen Zopf abgeschnitten hat: Es wird zunehmend schwerer für Ältere, sich mit hohem Arbeitslosengeld aufgrund hohen Lohns in der alten Stellung zu drücken vor neuen Jobs mit schlechteren Konditionen.

Aber prinzipiell: Zur Erhöhung des Renteneintrittsalters derjenigen, die sonst keine hinreichende Altersversorgung erreichen, gibt es keine Alternative! Auch die Vertreter der unteren Einkommensgruppen leben immer länger, und anders als 1880 sind sie als 67jährige keine Wracks mehr. An sie keine Anforderungen zu stellen, wäre gegenüber dem Rest der Gesellschaft ungerecht.

Aber wie gesagt gehört auch dazu, die Beschäftigungschancen der Gruppe zu verbessern, s.o.
Grüsse
Michael